ENTSCHEIDUNG DES OLG DÜSSELDORF VOM 20.07.2021 (https://openjur.de/u/2349778.html)
Vor dem Hintergrund vergangener Urteile sticht die aktuelle Entscheidung des OLG Düsseldorf heraus.
Es handelt es sich bei der Schuldnerin um ein StartUp, deren Gründer und Geschäftsführer vom Insolvenzverwalter in Anspruch genommen werden sollten. Konkret entwickelte das Unternehmen eine Software für eine Automobilbörse. Es finanzierte sich im Wesentlichen über Darlehen eines Investors, der mittelbar am Unternehmen beteiligt war. Dieser Investor hatte für seine Darlehen keinen (qualifizierten) Rangrücktritt erklärt. Auch hatten sich weder dieser Investor noch andere bindend verpflichtet, die Gesellschaft für einen längeren Zeitraum (vollständig) zu finanzieren. Vielmehr erfolgte die Finanzierung jeweils abschnittsweise für einige Monate auf Basis jeweils neuer Geschäftsplanungen und des sich daraus ergebenden Liquiditätsbedarfs. Als die Marktreife der Software dem Investor nicht mehr realistisch erschien, stellte er jedoch seine weitere Finanzierung ein, was zur Insolvenz der Schuldnerin führte.
Nach Ansicht des Insolvenzverwalters hatte sich der Geschäftsführer mangels eines dokumentierten Unternehmenskonzepts für die nächsten zwei Jahre lediglich – und unzulässig – auf eine (vage) Hoffnung gestützt. Diese Einschätzung teilte das OLG, wie schon das LG vorher, nicht. Eine formalisierte Unternehmensplanung sei (zumindest) für ein StartUp nicht erforderlich. Gestützt auf die Dornier-Entscheidung von 1992 hielt das OLG die Perspektive der Ertragsfähigkeit und letztlich einer Selbstfinanzierungskraft, wie in der Rechtsprechung gelegentlich angedeutet und in der Literatur verbreitet gefordert, nicht für notwendig. Ausreichend für die positive Fortbestehensprognose sei, dass das Unternehmen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in der Lage sei, seine im (von der Dauer allerdings unbestimmten) Prognosezeitraum fälligen Zahlungsverpflichtungen zu decken. Zur Begründung dieser überwiegenden Wahrscheinlichkeit sei auch keine bindende Finanzierungszusage erforderlich. Vielmehr könne der Geschäftsführer auch aus vergangenem Verhalten des Investors, insbesondere der bisherigen regelmäßigen Finanzierung, ohne gegenteilige Anhaltspunkte schließen, dass der Investor das Unternehmen und seine Entwicklungsverluste auch weiterhin finanzieren werde. Der Geschäftsführer hatte danach eine die Insolvenzantragspflicht ausschließende positive Fortbestehensprognose so lange auf seiner Seite, bis der Investor die weitere Unterstützung abgelehnt hatte. ([1])
Daher ist ein rechtlich gesicherter und damit einklagbarer Anspruch auf die Finanzierungsbeiträge nicht Voraussetzung für eine positive Fortbestehensprognose, denn dies würde einem Wahrscheinlichkeitsgrad von 100 % entsprechen.
Wahrscheinlichkeit von über 50% ausreichend
Der Bundesgerichtshof hat mit einem neuen Urteil vom 13.07.2021 (II ZR 84/20) für mehr Klarheit gesorgt: Die Berücksichtigung von Finanzierungsbeiträgen Dritter im Rahmen der positiven Fortbestehensprognose hängt gerade nicht davon ab, ob die Drittzusagen rechtlich gesichert und einklagbar sind. Es kommt vielmehr darauf an, ob mit überwiegender Wahrscheinlichkeit mit den Beiträgen gerechnet werden kann und ob die Sanierung nach Eintreffen der Finanzierungsbeiträge dann auch gelingen kann. Denn – so zutreffend das Gericht – auch die für die Fortbestehensprognose notwendigen zukünftigen Umsätze sind in aller Regel nicht gerichtlich einklagbar. ([2])
FAZIT UND AUSBLICK
Es muss allerdings eine Finanzierungsfähigkeit aufgrund des Geschäftsmodells und handelnden Personen gegeben sein und in einem Businessplan bzw. Fortbestehensprognose ein Monitoring des StartUps stattfinden, am besten unter der Begleitung von Experten mit hoher Expertise in der StartUp-Entwicklung und Finanzierung.
Geschäftsleiter allgemein und auch von StartUps sind daher weiterhin gut beraten, sich für eine positive Fortbestehensprognose nicht auf eine ungesicherte Gesellschafterfinanzierung zu verlassen, sondern sich selbst immer wieder die Frage zu stellen, bin ich noch finanzierungs- und förderfähig, was bei der Förderfähigkeit besonders StartUps die älter als 5 Jahren sind trifft (siehe UiS: Unternehmen in Schwierigkeiten ([3])).
Auch wenn – in Österreich – gute Gründe für die Sicht des OLG Düsseldorf sprechen mögen, erscheint das Risiko einer anderslautenden Entscheidung doch sehr hoch.
[1] Fachbeitrag v. 13.08.2021: Heuking Kühn Lüer Wojtek Rechtsanwälte
[2] Fachbeitrag 26.08.2021: Nörr Partnerschaftsgesellschaft mbB Rechtsanwälte Steuerberater Wirtschaftsprüfer
[3] EU-Verordnung 651/2014 DER KOMMISSION vom 17. Juni 2014